DIE NACHT DER SEELE


Eine post-romantische Theaterverschwörung

Eigentlich sollte das so ein richtig schöner Romantik-Abend werden. Der Musiker ist auch schon da. Aber für die Herzogin und den Baron kommt ständig die Psychopolitik des Neoliberalismus dazwischen. Ihre Gespräche wandeln dann auch auf seltsamen Pfaden zwischen damals und heute. Bin ich ein romantisches Ich oder ein postmodernes Projekt? Und schon wissen sie nicht mehr so genau, in welcher Realität sie sich befinden.

In der Filmdramaturgie heißt der Punkt, wo für das Heldenteam nichts mehr geht: „Die Nacht der Seele“. Das scheint wohl auch auf den aktuellen Weltzustand zuzutreffen. Sie geben sich aber nicht geschlagen. Denn sie haben doch extra was für das Publikum vorbereitet, z.B. eine Handnebelmaschine, ein präpariertes Klavier, Gesang, Sound und natürlich Schauspiel. Kurz: sie werfen die Scherben in den Nachthimmel und lassen sie leuchten. Und das ist doch romantisch!

Eine Produktion von Theater AGGREGATE im WUK THEATER QUARTIER Halle / Premiere: 18. Dezember 2024, 20.30 UHR / weitere Termine: 19., 20., 21. Dez. 2024, je 20.30 Uhr und 22. Dez. 2024, 18 Uhr

Termine im Theater unterm Dach Berlin: 24., 25., 26. Januar 2025, jewils 20 Uhr

Schauspiel, Gesang, Sound: Astrid Kohlhoff und Lutz Wessel / Musikalische Leitung, Klavier, Gesang, Sound: Alexander Ernst / Regie: Silvio Beck / Kostüme: Katharina Schirmer

Förderer: Land Sachsen-Anhalt, Lotto Sachsen-Anhalt, Stadt Halle

Karten unter:

www.wuk-theater.de/Karten

Zur Psychoplitik des Neoliberalismus

Die Epoche der Romantik entdeckte das schöpferische Ich. Mensch sein heißt fortan Künstler sein. Das gilt für Frauen wie für Männer. Dieser emanzipatorische Gedanke erweiterte die Idee Kants, wonach Aufklärung selbstständig denken hieße, um das Hervorbringen dessen, was in der Romantik Universalpoesie genannt wurde. Zweihundert Jahre später sehen wir uns mit einem ähnlich klingenden aber neoliberalen Imperativ konfrontiert: Sei kreativ! Oder, wie es der Schauspieler Martin Wuttke formuliert: „Aber wenn man über Kapitalismus reden will, muss man den Hauptbefehl kontern, und der heißt nicht: Sei gierig! Sondern der heißt: Sei kreativ!“ (Berliner Zeitung, 08.12.2024) Was ist geschehen? Die vollständige Einverleibung des Höchsten im Menschen, seine Kreativität, in marktförmige Prozesse scheint unaufhaltsam zu sein. Leistung, Selbstoptimierung, Authentizität, Kreativität, Performance – diese Begriffe sind Leitbegriffe der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft. Während die Epoche der Romantik das Individuum entdeckt und feiert, zu einem freien Zusammenschluss von Individuen in freien Sozietäten aufruft, huldigt die Gegenwart der Vereinzelung individualistischer Gesten im digitalen Kapitalismus. Alle performen sich selbst. Oder wie der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han schreibt: „Das neoliberale Leistungsnarrativ macht aus jedem einen Unternehmer seiner selbst. Jeder befindet sich in Konkurrenz mit anderen. … Wo jeder dem Gottesdienst des Selbst huldigt und der Priester seiner selbst ist, wo jeder sich produziert, sich performt, bildet sich keine stabile Gemeinschaft.“ (Byung-Chul Han, Krise der Narration, Matthes & Seitz Berlin, 2023) Wir thematisieren diese Diagnose, in dem wir frei und spielerisch auf die Romantik zurückgreifen. Die Romantik gilt als Kunst, metaphysische Luftschlösser zu bauen. Sie hat den Konjunktiv als ästhetisch-philosophische Strategie entdeckt, um mit existentiellen Fragen umgehen zu können, für die es keine Antworten gibt. „Es war als hätt der Himmel, die Erde still geküßt“ schreibt Eichendorff. Was ist real? Das Authentische? Das Gespielte? Brauchen wir Fiktionen, um mit der Realität in Berührung zu kommen? Hat Kunst irgend einen Kern, von dem etwas ausginge, was sich nicht im Kulturmarkt erschöpft? Unser Theaterstück „Die Nacht der Seele“ geht künstlerisch mit diesen Fragen um. Es gibt keine Antworten.

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